Das Kunstwerk an sich

1) Kontrast

An jedem echten Anfang steht ein Paradox: Kontrast ist die Einheit des Unterschieds.

Der Begriff des Kontrasts ist grundlegend. Denn alles, von dem wir sagen können "es ist", verdankt sich dem Kontrast. Was sich von überhaupt nichts abhebt, kann weder wahrgenommen, noch gedacht werden, es existiert gar nicht.

So gesehen kann es einen grundlegenden Begriff aber auch kaum geben, einen Begriff also, der sich selbst auf keine weiteren Grundlagen bezieht. Es sei denn, er läßt es zu, ihn auf sich selbst zu beziehen, ihn münchhausenhaft tautologisch im Nichts schweben zu lassen. Genau das leistet der Kontrastbegriff, und bietet damit Antworten auf sämtliche offenen Fragen dieser Welt.

Er betritt die Bühne als Differenz in einem beliebig gewählten Medium, etwa als Hell-Dunkel-Kontrast im Medium des Lichts, oder von mir aus als Billig-Teuer-Kontrast im Medium der Ölfarbenpreise oder was immer, einem Medium, das sowieso im weiteren Verlauf eliminiert werden soll, indem der Begriff des Kontrasts zunehmend selbstbezüglich verwendet wird. Parallel dazu soll der externe Beobachter (ich der Autor, Sie lieber Leser) sich aus dem zunehmend autonomen Szenario verabschieden, um dieses (Manuskript, Buch, Bild, Modell,...) sich selbst und seiner paradoxen Existenz zu überlassen.

Selbstbezüglich ist der Kontrastbegriff genau dann, wenn er sich auch selbst vor einem Hintergrund abhebt, wenn er sich von seiner ausdrücklichen Verneinung unterscheidet, also seinerseits so wie alle anderen wahrnehmbaren Gegebenheiten durch Kontrast gegeben ist. Der externe Beobachter (Autor, Leser, Publikum) kann das dann zur Kenntnis nehmen sowie alle weiteren Implikationen, nämlich die Verteilung und Komplexifizierung des Kontrasts als ein nach logischen Regeln selbstorganisierendes System. Das "Ziel" dieses zirkulären Weges ist wie gesagt der vollständige Selbstbezug des Kontrastbegriffs, also die logische Eliminierung sowohl des willkürlich gewählten Mediums des Kontrasts, wie auch des externen Beobachters, zugunsten einer autonomen durchgehend binär codierten Welt mit interner Beobachtung. Sobald nämlich das Medium als durchgehend angesehen wird, einen universellen Weltäther gleich, ist es wie jener nicht mehr existent, da es nichts gibt, von dem es intern selbst noch unterscheidbar wäre (Wittgensteins "alles ist rot"). Medium und externer Beobachter als zwei Seiten ein und derselben Medaille haben einer selbstorganisierenden künstlichen Welt zu weichen, welche ganz selbstverständlich Universalität beansprucht: Das Kunstwerk an sich. Das Anfangsparadoxon tritt jetzt dergestalt in Erscheinung, daß der Inhalt dieses Manuskripts und der Autor bzw. Leser sich gegenseitig explizit in ihrer Existenz ausschließen.

2) Perspektive

Bevor es endgültig soweit ist, zeige ich noch, daß die allgemeine äußere Form, die solch eine selbstorganisierende Welt schließlich annimmt, derjenigen gleicht, die uns (Leser, Autor) an unserer eigenen Umgebung vertraut ist: Die eines asymmetrischen vierdimensionalen Kontinuums, der Raum/Zeit. Dabei werden sich drei Stationen abzeichnen, die unterschiedlichen Organisationsniveaus entsprechen, und die ich mit Diophants alten mathematischen Bezeichnungen für die erste, zweite und vierte Potenz "arithmos", "dynamis" und "dynamodynamis" nenne. Der Vorzug dieser Bezeichnungen liegt darin, daß sie einen tiefliegenden philosophisch-algebraischen Zusammenhang sichtbar machen: So wird die zweite Potenz, dynamis, geradewegs als allgemeine Form des Kontrasts, des Wechsels, der Bewegung benannt, und die vierte, dynamodynamis, gibt sich schon rein äußerlich als dessen selbstbezügliche Form zu erkennen. Alles, auch der Fluß selbst, ist im Fluß.

arithmos

Kontrast als Grundbegriff impliziert selbstbezüglich seinen eigenen Unterschied und dessen paradoxe Einheit. Ein Prinzip ist durchgängig oder es ist kein Prinzip. Das schließt seine allgemeine Beschränkung ebenso aus, wie es seine beschränkte Allgemeinheit, seinen Widerspruch, den Nichtkontrast, einschließt: Begrenzte Gleichheit ist notwendig, um homogenes Chaos, also wiederum totale Gleichheit auszuschließen.

Kontrast als Grundbegriff bildet damit eine Art unversiegbaren Quell immer neuer, entweder qualitativ oder quantitativ unterschiedlicher Unterschiede. Ersteres erfordert vom externen Beobachter unbegrenzte Zusatzannahmen (d.h. weitere Medien des Kontrasts), zweiteres die eine Zusatzannahme einer bestimmten Verteilung des Kontrasts. Beides läuft aber auf das selbe hinaus, wie am Beispiel der sogenannten reizunspezifischen Codierung klar wird: Farben, Formen, Helligkeiten, Tonhöhen, Lautstärken usw, also die unterschiedlichsten Kontrastmedien sind auf einem Videoband in völlig gleicher Weise nur als Folge von Nullen und Einsen repräsentiert. Ebenso verarbeitet ein Computer auch noch die komplexeste Information einheitlich binär codiert, und in einem organischen Nervensystem verhält es sich ähnlich. Wir beschränken uns deshalb lieber gleich auf zweiteres, die binäre Codierung eines einzigen beliebigen Mediums (Licht, Preis, Saugfähigkeit), welches später zusammen mit dem externen Beobachter auch noch rausfliegt.

Die mathematische Entsprechung solch einer recht anschaulichen Welt diskreter linearer Verteilung bildet die Menge der natürlichen Zahlen und alles, was sich damit anstellen läßt, bis hin zum Entwurf der reellen Zahlengerade: arithmos. Eine eher alltägliche Illustration dieser eindimensionalen Welt liefert das bereits erwähnte Bitmuster eines Magnetbands, oder auch eine Zeitung als Aneinanderreihung schwarzer Buchstaben auf weißem Papier.

dynamis

Man liest eine Zeitung nicht, indem man sie im Stück verschluckt, sondern indem man Portionen (Buchstaben, Wörter, Sätze, usw) in Beziehung setzt. Entsprechend verfährt ein Computer bei der Datenverarbeitung.

Während die Elemente des binär codierten Systems (bits) untereinander qualitativ gleich kontrastieren, gilt dies nicht für beliebig größere Portionen einer solchen Welt. Diese bilden Relationen, sie kontrastieren unterschiedlich, ihrer Größe, Lage, Überlappung entsprechend. Ihre Unterschiede sind auch intern manifest, anders als der durchgehend gleiche Kontrast der Elemente, der eben allein in der Verteilung gegeben ist.

Abstrahiert man schließlich völlig von dem zugrunde liegenden Bitmuster, von der "impliziten Ordnung", und stellt nur auf die "explizite Ordnung" der Portionen ab, so ergibt sich ihr Zusammenhang allein aus ihren Relationen. Dann gilt, daß diese Portionen überhaupt nurmehr in Bezug aufeinander gegeben sind, ausschließlich aus ihrem relativistischen Zusammenhang definiert, statt durch die früheren externen und absoluten Vorgaben. Die Apriori-Annahme eines zugrunde liegenden Bitmusters, eines Rasters oder was auch immer, kann sich jetzt im Mikrokosmos verlieren, oder getrost im Chaos verflüchtigen, oder beides zugleich und noch mehr. Wir brauchen sie nicht mehr. Sie hat ausgedient mitsamt ihrem willkürlich gewählten Medium, welches wie der alte physikalische Weltäther dem Relativismus zum Opfer gefallen ist. Das Modell ist ein Stück weit flügge geworden, und im selben Maße sind wir externen Beobachter (der Autor, der Leser, auch der Kritiker) um einige Nuancen verblichen.

Allgemein stellt sich der Zusammenhang, worin sich jetzt ein Teil dieses Systems befindet, seine Umgebung, als ein zweidimensionales Relationennetz dar, als eine mehr oder weniger dicht gewebte Fläche, im Grenzfall als ein ebenes Kontinuum. Die mathematische Entsprechung hierzu ist die Ebene der Komplexen Zahlen. Das sind Zahlen, deren Wesen und ausdrückliche Besonderheit der Dualismus des Kontrasts ist, der Wechsel, die Grenzüberschreitung: "dynamis" drückt zugleich die wechselseitige Abhängigkeit, das Fließgleichgewicht der Relationen aus.

dynamodynamis

Ein solches Relationennetz enthält die Möglichkeit zirkulärer Strukturen. Die Verknüpfungen können und müssen letztlich zirkulär sein, also die Form logischer Schleifen annehmen. Das wiederum impliziert Plastizität, Veränderlichkeit, weil sich Teile des Systems allein in Bezug auf ihre Umgebung, und damit mehr oder weniger mittelbar auch in Bezug auf sich selbst definieren, seit die absoluten Vorgaben (Medium, externer Beobachter) fallen gelassen wurden. Ein Moment fundamentaler, oder besser bodenloser Instabilität kommt damit ins Spiel, welches die Definition der Umgebung rekursiv transformiert. Dieses hochbrisante Moment der Ebenenüberschreitung infolge Zirkularität bewirkt, daß jetzt ein Teil des Systems stets zwischen zwei Ebenenaspekten vermittelt, also zwei flache Umgebungen hat, statt nur einer. Nichts anderes bedeutet Ebenenüberschreitung. Insgesamt ist die Umgebung eines Teils des Systems damit vierdimensional.

Relationenverknüpfung unterliegt einer bestimmten logischen Einschränkung, der Antikommutativität, welche besagt, daß eine Verknüpfung von A mit B nicht unbedingt das selbe zu sein braucht wie von B mit A, daß beispielsweise ein Borstenpinsel nicht mit einer Pinselborste zu verwechseln ist. Das ist eine Art von Produktbildung, welche, obwohl durchaus sinnvoll, im postalchimistischen Zeitalter lieber gemieden wurde, dem universellen Gültigkeitsanspruch naturwissenschaftlicher Aussagen zuliebe.

Wegen der Antikommutativität der Relationenverknüpfung ist die Umgebung eines Teilsystems nicht nur vierdimensional, sondern darüber hinaus auch asymmetrisch. Gleichbedeutend kann man sagen: Wegen der zirkulären Plastizität ist die Umgebung asymmetrisch. Doch auch ganz prinzipiell, aus Kontrastgründen, sollte die Asymmetrie nicht überraschen. Das ebenenüberschreitende Moment bildet den Ursprung einer vierdimensionalen und asymmetrischen Perspektive.

Auf der Suche nach der objektiven Wirklichkeit abstrahieren alle Beobachter, seien sie ex- oder intern, vom Ursprung der Perspektive, versuchen sich also selbst herauszuhalten, und gelangen so zu der Vorstellung eines Globalraums.

Die Verallgemeinerung unserer vierdimensionalen und asymmetrischen Perspektive (Umgebung) zu einem Globalraum entspricht topologisch der relativistischen Raum-Zeit, allerdings zuzüglich der Asymmetrie des Zeitpfeils. Algebraisch entspricht sie dem von Hamilton entdeckten Quaternionenraum. Quaternionen sind eine Art begrenzt zurechnungsfähiger "Vierkomponentenzahlen", ähnlich den komplexen "Zweikomponentenzahlen". Nicht von ungefähr bewährt sich diese Algebra in der Robotik, wo es darum geht, autonome künstliche Wahrnehmungssubjekte, den Homunculus und den Golem zu schaffen.

Das Weltmodell, die Modellwelt ist damit in ihrer allgemeinen Form selbstreferenziell abgeschlossen. Sie gleicht einem Bild, welches weder Ölfarbe noch Leinwand, weder den Pinsel noch den Maler braucht, um von sich selbst gemalt worden sein zu können. Das Bild an sich enthält sein introspektives Moment, seine Selbstbeobachtung, deren blinder Fleck nicht nur sein Anfangssparadox gnädig verdeckt, sondern auch alle externen Annahmen aufhebt: Das willkürlich gewählte Medium des Kontrasts, den externen Beobachter, den Maler und Autor, den Leser....

3) Nächstes Thema wäre sonst die Farbe gewesen...