Eine ZirkulŠre
€sthetik
Wenn die Welt wirklich
alles sein soll ãwas der Fall istÒ, muss sie auch unser Weltbild als einen Teil
mit enthalten. Unsere Wahrnehmung und Anschauung beruht auf der Annahme zweier grundlegender
Bedingungen. Erstens auf der relativistischen Bedingung, dass all deren
GegenstŠnde nicht an sich, sondern allein in Bezug aufeinander gegeben sind.
Und zweitens auf der reflexiven Bedingung, dass es ein Subjekt der Anschauung,
einen Beobachter gibt, der seinerseits einen solchen Gegenstand darstellt, der
also selbst Teil innerhalb der Welt ist, die er
beobachtet.
Die
erste, relativistische Annahme, die Identifikation, bedeutet, dass etwas
dadurch gegeben ist dass es von allem anderen unterschieden wird, eben durch
den Beobachter. Ist kein Unterschied festzustellen, so ist von vorne herein
Ÿberhaupt nichts festzustellen. Das lŠuft darauf hinaus, dass die Vielheit der
Gegebenheiten in einem Beziehungszusammenhang steht, der durch die Wahrnehmung
selbst festgelegt ist. Die einzelnen Dinge in der Welt unterscheiden sich vor
allem durch ihre Lokalisierung voneinander, sodass man sagen kann, ihre
Vereinzelung liegt geradezu in ihrer Lokalisierung. Oder Vereinzelung und
Lokalisierung meint im Grunde ein und dasselbe. Beide Begriffe implizieren darŸber
hinaus einen Zusammenhang in welchem die Gegebenheiten sich befinden und dieser
besteht allein und gerade darin, dass es GegenstŠnde eines einzigen konsistenten
Wahrnehmungsgeschehens sind.
Solch
eine relativistisch verfasste Welt als AnhŠufung unterschiedlicher und
aufeinander bezogener Gegebenheiten stellt in allgemeiner und somit
mathematischer Formulierung eine zweidimensionale Mannigfaltigkeit dar. Das
bedeutet nichts weiter als dass wir es dabei mit einer Menge aufeinander
bezogener Elemente und Teilmengen zu tun haben.
Doch warum gerade zweidimensional? Kšnnen deren Unterscheidungsmodi, so wie die
GegenstŠnde selbst, nicht beliebig zahlreich sein? Es ist doch sogar
augenfŠllig, dass unsere tatsŠchlich wahrgenommene Umgebung eine
unŸberschaubare Mannigfaltigkeit von Dingen unterschiedlichster Eigenschaften
und Besonderheiten ist! Das ist nur eine alltŠgliche Feststellung, die zudem
dem Prinzip der Wahrnehmung, Zusammenhang herzustellen, zuwider zu laufen
scheint. Offensichtlich kennt die Wahrnehmung jedoch Wege, damit klar zu
kommen. NatŸrlich geht es hier um die allgemeine Form des Zusammenhangs der
Wahrnehmungsinhalte und nicht um diese im Einzelnen. Es geht um die Codierung
ihrer ReprŠsentation.
Das
lŠsst sich am besten anhand des Beispiels einer Videodatei veranschaulichen.
Das Video zeigt ein komplexes Geschehen, vielleicht einen Krimi oder ein Liebesdrama,
wo verschiedene Menschen in irgendwelcher Umgebung, in Zimmern vielleicht oder
auch in Fahrzeugen oder im Freien zugange sind, in unterschiedlichsten
Kleidern, ZustŠnden, TŠtigkeiten, mit Requisiten aller Art, in Farbe oder
Schwarz/Wei§, redend oder schweigend, mit oder ohne Musik, dem technischen
Fortschritt entsprechend mšglicherweise sogar um olfaktorische und haptische
Effekte ergŠnzt. All diese ungeheuere Vielfalt an Dingen, Situationen und
QualitŠten die wir da heute als Publikum erfahren kšnnen, ist dennoch auf rein technischer
Ebene blo§ in einer Reihenfolge von einfachsten Signalen, von bits, binŠr
codiert und reprŠsentiert. Und sie ist durch einen Schreib- und Lesekopf Ÿber
geeignete Aufnahme- wie AbspielgerŠte jederzeit verfŸgbar zu machen und in
ihrem ganzen Reichtum wieder in aller Breite aufzufŠchern. Das hei§t, die
eindimensionale Bitfolge wird durch einen Prozessor geschrieben beziehungsweise
gelesen, der einzelne Teile von ihr festlegt und vergleicht, so wie ein
Zeitungsleser einen Haufen von Buchstaben zu Wšrtern und SŠtzen zusammenfasst
bis ihnen irgend ein Sinn zu entnehmen ist. Die enorme Vielfalt an
Mšglichkeiten die so in einer simplen eindimensionalen Menge, einer Folge von
Zeichen ruhen, liegt also in den Beziehungen ihrer Teilmengen zueinander. Und
diese Beziehungen, in denen wir jetzt in oben beschriebener Weise die eigentlichen
GegenstŠnde der Wahrnehmung erkennen dŸrfen, manifestieren sich erst durch eine
vergleichende Instanz, nŠmlich den Leser beziehungsweise den Prozessor oder wen
oder was auch immer.
Die
BŸhne, auf welcher das stattfinden kann, ist nicht einfach mehr nur die
eindimensionale Zeichenzeile, sondern eine zweidimensionale Mannigfaltigkeit
relativistisch zusammenhŠngender Wahrnehmungsinhalte, GegenstŠnde, Gegebenheiten
aller Art. Mathematisch gesprochen haben wir es jetzt statt nur mit der
einfachen Menge mit deren Potenzmenge zu tun, also mit der gewaltigen Menge all
ihrer Teilmengen und insbesondere mit dem Geflecht derer gegenseitigen
Beziehungen. Die allgemeine Grundlage der Topologie ist die zweidimensionale FlŠche.
Weil uns alle Objekte relativistisch, also allein in Bezug aufeinander gegeben
sind, zeigt sich die Welt damit nicht mehr nur als schlichte lineare Ansammlung
von GegenstŠnden, sondern als komplexes Beziehungsgeflecht buchstŠblich auf hšherer
Ebene.
Ab
Beginn der Neuzeit hat man die bis dahin gebrŠuchliche Algebra, die eindimensionale
Gerade der reellen Zahlen aus zunŠchst nur rechentechnischen GrŸnden[1]
um eine zweite Version ihrer selbst erweitert. Um einen gemeinsamen Ursprung,
den Nullpunkt, spannen nun beide Zahlengeraden eine Ebene auf, die Ebene der
Komplexen Zahlen. Diese bestehen somit jeweils aus zwei Komponenten, dem gewohnten
reellen Teil und im ausdrŸcklichen Unterschied dazu dem sogenannten imaginŠren
Teil. Die Erweiterung der Algebra erwies sich bald fŸr alle Bereiche der
Naturwissenschaft, insbesondere fŸr die Physik, als Ÿberaus fruchtbar und
nŸtzlich. Sicherlich wegen nichts anderem als der Bereitstellung
uneingeschrŠnkten Spielraums fŸr formales Denken durch ein nunmehr adŠquates,
nŠmlich zweidimensionales Modell der objektiv gegebenen Welt. Dem freien
VerfŸgen Ÿber Teilmengen war damit angemessen Raum gegeben. Heutzutage
darstellbar auch als Vektorraum oder als Matrix.
Sieht
man bis hierher noch von meiner zweiten eingangs aufgestellten Grundannahme ab,
des Subjekts der Wahrnehmung, so kann man sagen: UnabhŠngig vom Beobachter
erweist sich die objektiv wahrzunehmende Welt in ihrer allgemeinen Form als eine
zweidimensionale Mannigfaltigkeit, als eine FlŠche, um nicht gleich zu sagen
als SchnittflŠche. Die gewohnte Dynamik unserer Wahrnehmungsinhalte, also
Unterschiedlichkeit von Ort, Grš§e und allen mšglichen sonstigen Eigenschaften,
ihre Teilbarkeit und Wandelbarkeit, all unsere bunte, turbulente und
vielgestaltige Wirklichkeit, ist bei Lichte všlliger ObjektivitŠt besehen im
Grunde schlicht flach.
Wie?
- Das, was wir fŸr unser ganzes Dasein halten, soll sich allen Ernstes in solch
eine bescheidene allgemeine Form fŸgen? Das Beispiel der Videoaufnahme spricht
dafŸr. Und ebenso die wissenschaftliche Erkenntnis, dass auf unterster
physiologischer Ebene, nŠmlich neurologisch all unser Wahrnehmungsgeschehen,
all unser sinnlicher wie handelnder In- und Output ebenfalls auf die Verteilung
eines einzigen binŠren Grundkontrasts aktiv feuernder beziehungsweise passiver
Neuronen zurŸckzufŸhren ist.
Das Subjekt
Die
zweite und von mir reflexiv genannte Grundannahme im Hinblick auf unsere Wahrnehmung
und Anschauung lautet dass es ein Subjekt gibt, welches aber nicht etwa aus dem
Off auf die Gegebenheiten in der Welt herab blickt, sondern das selbst ganz und
gar zu diesen Gegebenheiten gehšrt. Welches selbst mit in dieser Welt enthalten
und gegenwŠrtig ist, als Teil, Mitspieler und interner Beobachter des
Beziehungsgeflechts. Das Subjekt ist zirkulŠr durch seine Selbstidentifikation
gegeben. Die Selbstidentifikation ist sein Wesenskern.
Da
mangels einer ãAu§enwelt an sichÒ alle GegenstŠnde, Ereignisse, schlechthin
Alles uns aber einzig und allein in der Wahrnehmung des Subjekts und nur durch
diese gegeben ist, kommt dem Subjekt unter allen anderen Gegebenheiten doch immerhin
eine besondere, nŠmlich eine zentrale Rolle zu. Solipsistisch ist diese Sichtweise
nur insofern nicht, als ich, also
das Subjekt in diesem konkreten Fall, anerkenne, dass es au§er mir noch weitere
Subjekte unter den GegenstŠnden dieser Welt gibt: Mitmenschen, Katzen, Hunde,
Všgel und Insekten, BŠume und Pilze, Kieselsteine und so weiter, fŸr die alle
das selbe gilt, unabhŠngig davon wie viel Bewusstsein ich ihnen zuzugestehen
bereit bin. Das Šndert aber gar nichts daran, dass gerade hier und jetzt ich als das
konkrete Subjekt das Zentrum der Welt bin, der
Sonderfall unter definitiv ãAllem was der Fall istÒ. Und das gleiche gilt
natŸrlich fŸr alles und jeden von uns.
Unterstrichen
sei noch einmal, dass die Gegebenheiten dieser Welt keinesfalls ãan sichÒ bestehen,
sondern allein in Bezug auf einander. Und dass dies selbstverstŠndlich auch fŸr
Subjekte gilt und insbesondere ãfŸr mich selbstÒ als dem unmittelbar gegebenen
Subjekt. Auch ich existiere nur als Teil und in Bezug auf das Netzwerks der
Gegebenheiten meiner Umgebung.
Beziehungen
zwischen Dingen kšnnen mehr oder weniger direkt sein oder auch mehr oder
weniger mittelbar. Jede Gegebenheit, auch in Gestalt des Subjekts, begrŸndet
dadurch so etwas wie eine Hierarchie oder Gliederung inmitten der anderen
Gegebenheiten, strukturiert grob die Umgebung lokal nach NŠhe und Ferne, nimmt im
weitesten Sinn Raum in Anspruch, in dessen Zentrum sie sich selbst befindet. Handelt
es sich bei der Gegebenheit um das Subjekt mit seiner
Beobachtungskompetenz, wird sich dieses
ãhier und jetztÒ im Zentrum dieses Raumes verorten und keinen Anlass sehen, das
in Frage zu stellen. Es befindet sich und erfŠhrt sich im sogenannten egozentrischen
Raum, wie ihn Gareth Evans beschreibt[2].
Der egozentrische Raum ist die Umgebung eines bestimmten Subjekts. Er stellt
die primitivste, doch damit auch grundlegende Topologie und Orientierung dar.
Seine wichtigste Eigenschaft ist seine Konsistenz, das hei§t der einzig durch
die Wahrnehmung gegebene Zusammenhang ihrer Inhalte, der Gegebenheiten. In
unserer alltŠglichen Umgebung verorten wir uns darin, dass wir ausgehend von
ãhier und jetztÒ als lokalen Ursprung die Begriffspaare oben/unten, vorne/hinten,
links/rechts sowie vorher/nachher unterscheiden. Die darin schon zum Ausdruck
gebrachte vierdimensionale raum-zeitliche Perspektive ist allerdings eine
besondere Struktur, welche vorerst noch unerklŠrt bleibt.
Die
Krise des egozentrischen Raums liegt erstens in der Kommunikation. Diese ist
weit mehr als nur die VerstŠndigung zwischen verschiedenen Subjekten. Sie ist
auch die Grundlage unseres Verstandes selbst, indem sie unserer Orientierung
GŸltigkeit, …ffentlichkeit und AnschlussfŠhigkeit verleiht. Ohne diesen
praktischen Gebrauch fehlte uns das Urteilsvermšgen und die Orientierung bliebe
reine WillkŸr und blo§er Wahn. Es fehlte uns die grundlegende RŸckkoppelung
unserer Vorstellung von und mit der Umgebung. Der egozentrische Raum wird in
einer Art evolutionŠrer Kulturleistung intersubjektiv und keineswegs nur
zwischen Menschen, sondern beispielsweise auch zwischen Bussard und Maus, sogar
zwischen Bach und Kiesel zu einem šffentlichen und objektiven Raum
verallgemeinert. In ihm finden sich die egozentrischen RŠume der individuellen
Subjekte ordentlich eingebettet und durch seinen wesentlich praktischen Nutzen
kommt dem …ffentlichen Raum so etwas wie ein Ÿberlegener Wahrheitswert zu,
obwohl er eigentlich als Abstraktion des egozentrischen Raums viel weniger
direkt wahrgenommen wird als dieser. ObjektivitŠt und Unmittelbarkeit der
Wahrnehmung sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Dessen
ungeachtet stelle ich die oben behauptete allgemeine ZweidimensionalitŠt des
objektiv gegebenen Raums damit weiterhin nicht in Frage - ungeachtet unserer
alltŠglichen Erfahrung einer vierdimensionalen und asymmetrischen Umgebung mit
drei Raum- und einer Zeitdimension.
Die
Krise sowohl des egozentrischen wie nun auch des šffentlichen Raums ist zweitens
ihre prinzipielle UnvollstŠndigkeit. Auf kurze Sicht sozusagen ist das kein
Problem. Dass die Vorstellung die wir von unserer Umgebung haben ist wie sie
ist, nŠmlich im Prinzip offen und nicht unbedingt vollstŠndig, das steht fest.
Und wo diese endet ist zunŠchst keine Frage. Irgendwo weit drau§en mag alles
sich auflšsen. Vielleicht im Nichts, also in etwas das es gar nicht gibt, worin
sich also auch nichts auflšsen kann. Irgendwo in weiter Ferne mag einmal alles
begonnen haben, vielleicht mit einem Urknall oder mit welch ganz und gar
unerklŠrlicher SingularitŠt auch immer. Leider kommen wir aber gerade auch hier
und jetzt um dieses Problem um nichts auf der Welt herum. Denn das Subjekt ist
auch im objektiv gegebenen Raum noch selbst wesentlicher Teil der beobachteten Welt
mit der es sich rŸckkoppelnd auseinanderzusetzen hat.
Die
Orientierung um die es hier ausdrŸcklich geht beruht auf dem kontinuierlichen
Zusammenhang des Wahrnehmungsinhalts. Sie besteht prinzipiell auf einer
perfekten lŸckenlosen und vollstŠndigen Vorstellung von der Umgebung auf Grund
derer dann erst ãsinnvollÒ reagiert und gehandelt werden kann. Das erfordert unbedingt
ein umfassendes, widerspruchsfreies, also formal eindeutig feststellbares und,
wie ich zeigte zweidimensionales Bild. Auch jeder einzelne Teil davon hat nur
GŸltigkeit sofern er in sich vollstŠndig und widerspruchsfrei ist und eine gŸltige
Vorstellung ist nicht schon durch eine zufŠllige Summe von einzelnen Wahrnehmungsinhalten
gegeben, sondern erst durch deren konsistente gemeinsame und einheitliche Form.
Aufs Ganze sowie aufeinander bezogen stellen einzelne GegenstŠnde keine Summanden
dar sondern Faktoren.
Das
Problem aber mit der letztlich dennoch ausgeschlossenen VollstŠndigkeit und
Widerspruchsfreiheit unserer Vorstellung einer objektiven Welt liegt in der
unvermeidlichen SelbstbezŸglichkeit der Wahrnehmung des Subjekts. Als
Beobachter wie als Handelnder ist es eben selbst wesentlicher Teil der Beobachtung.
Und dadurch ist unser Weltbild von vorne herein zirkulŠr begrŸndet. Formal
steht es auf tšnernen FŸ§en und zu allem †berfluss fehlt unter diesen auch noch
ein Boden. Wir haben es durchgehend mit einer logischen Schleife zu tun, mit einem
ãstrange loopÒ wie Douglas Hofstadter das beschrieben hat.[3]
Das
Paradoxon der Selbstinklusion, das darin liegt, ist unter anderem als die Russellsche Antinomie
bekannt. Es betrifft die Menge
aller Mengen, die sich nicht selbst als Element enthalten. Diese Menge
enthielte sich genau dann selbst als Element, wenn sie sich eben gerade nicht
selbst enthielte. Der Widerspruch der darin liegt, dementiert von Grund auf die
gesamte Vorstellung eines solchen Zusammenhangs, also den objektiv angenommenen
Zusammenhang selbst.[4] Die
Vernichtung vor diesem Hintergrund ist total. So wundert es nicht, dass wir im
praktischen Alltag offensichtlich niemals auf dieses Problem sto§en und keine
Situation kennen wo es faktisch eine Rolle spielen wŸrde. Wir kšnnen es uns nur
deskriptiv vergegenwŠrtigen, etwa in dem selbstbezŸglichen Satz: ãDieser Satz
ist falschÒ zusammen mit der Zusatzfrage, ob er denn nun wirklich falsch oder
nicht gerade deshalb richtig ist. Ein anderes bekanntes Beispiel ist der kretische
Dorfbarbier der genau alle MŠnner im Dorf rasiert die sich nicht selbst
rasieren. Mit der Zusatzfrage, wer denn dann diesen rasiert.
Ein konkreter Fall wo
so etwas passiert scheint unvorstellbar. Das allerdings ist umso merkwŸrdiger als
wir, Subjekt und zugleich Objekt unserer
Wahrnehmung, eigentlich stŠndig und von vornherein genau in dieser selbstbezŸglichen
Lage sind, wo das Undenkbare und absolut Ausgeschlossene unvermeidlich gegeben ist.
Unsere gŸltige Vorstellung der Welt, unsere gesamte Orientierung ist immer und
Ÿberall und von vorne herein zum totalen Scheitern verurteilt. Wir mšgen diesen
Zusammenhang - der eben gerade keiner ist - unserer Orientierung zuliebe konsequent
ausblenden und uns so weit wie mšglich an der gleicherma§en lebenswichtigen wie
komfortablen vordergrŸndigen Stimmigkeit des objektiven Weltbilds GenŸge tun.
Wir mšgen ganz selbstverstŠndlich diesen systematischen ãBlinden FleckÒ[5]
der Selbstreferenz ignorieren und Ÿbersehen. Nichts leichter als das! Doch tatsŠchlich
ist der allgegenwŠrtige Kollaps der Orientierung durch nichts aus der Welt zu
schaffen. Und dann ebenso wenig die lebenswichtige Notwendigkeit ihres erneuten
Entwurfs. Und so wenig all unsere EntwŸrfe von vornherein Bestand haben, so
ehern und unumstš§lich behauptet sich doch der eine buchstŠbliche Moment des
†bergangs, der EbenenŸberschreitung, des ãHier und JetztÒ, der an sich dynamischen Gegenwart,
wo sich all das unentwegt abspielt. Dagegen gibt es Vergangenheit und Zukunft im Wortsinn gar nicht: Die Vergangenheit
war mehr oder weniger und nur ihre
Spuren sind geblieben, die Zukunft wird
kommen oder auch nicht.
Das
Subjekt besteht in nichts anderem als seiner Selbstidentifikation. Und das
Paradoxon der Selbstinklusion ist das dynamische Prinzip Ÿberhaupt. Indem wir
Subjekte eine Welt beobachten, deren Teil wir ganz und gar selbst sind, ist
jede Beobachtung letztlich introspektiv und rekursiv, also zirkulŠr und
antiformalistisch. Jede Formfindung des Subjekts endet auf der Stelle im
Widerspruch paradoxer Selbstinklusion. Das steht einer konsistenten, das hei§t
vollstŠndigen und widerspruchsfreien Orientierung jederzeit und grundlegend
entgegen. Denn die Macht der Orientierung besteht allein in ihrer formalen
Geschlossenheit: In der VollstŠndigkeit und Widerspruchsfreiheit. Und wie Roger
Penrose sagt: ãReflexionsprinzipien
stellen die direkte Antithese zur formalistischen Denkweise darÒ[6].
Da
nun aber gerade die Orientierung allgemeines und notwendiges Ziel aller
Wahrnehmung und zugleich deren Grundlage ist, ist es unbedingt geboten, den
unvermeidlichen Zirkel der Selbstinklusion weitestgehend auszublenden. Doch
ausblenden ist nicht ausrŠumen und so dementiert sich unsere Vorstellung –
soweit auch immer sie reichen mag – buchstŠblich augenblicklich und
erzwingt zugleich einen Neustart. Von Mal zu Mal. Wir nennen es Zeit.
Der
konkrete Fall einer Begegnung mit dem Paradoxon, wie unvorstellbar er auch
vorhin noch erschienen sein mag, wird also nichtsdestoweniger in seiner Wirkung
direkt demonstrativ wahrgenommen und ist keineswegs nur umstŠndlich deskriptiv
darstellbar, wie etwa durch den Barbier oder den Philosophen. Wir begegnen ihm vielmehr
in jedem Augenblick, also immer und Ÿberall. Was aber všllig gleichbedeutend
damit ist, dass wir ihn selbst niemals direkt wahrnehmen kšnnen, sondern allein
seine Wirkung, den steten Wandel.
Die
Gegebenheiten in der relativistischen Welt verhalten sich wie gesagt zueinander
wie Faktoren welche Produkte bilden und nicht wie blo§e Ansammlungen von Summanden.
WŠhrend in der Arithmetik ein Summand Null nichts an der Summe Šndert, setzt
ein Faktor Null dagegen das gesamte Produkt auf Null. Vergleichbar verhŠlt sich
das Paradox der Selbstinklusion als ãGegebenheit NullÒ in einem
relativistischen Zusammenhang. Unter all den anderen Gegebenheiten des zirkulŠr
wahrgenommenen Wirkungszusammenhangs unserer Umgebung gleicht es einem
Kurzschluss: Die Sicherung fliegt raus und der Stromkreis bricht zusammen.
Es
dementiert auf der Stelle den gesamten Zusammenhang in dem es steht. Man mag
hier wieder einwenden, dass uns diese Situation nur auf symbolischer Ebene
begegnen kann und niemals faktisch in der alltŠglichen objektiven Wirklichkeit.
Dass das Paradoxon das Nichts lediglich reprŠsentiere und es nicht ãverkšrpertÒ.
Das trifft sicherlich zu, doch wir sollten nicht vergessen, dass das was wir
als die objektive Wirklichkeit annehmen ja seinerseits als Werk unserer rŸckkoppelnden
Wahrnehmung und in eben diesem Sinne selber nichts anderes ist als eine ReprŠsentation.
Und die Selbstinklusion des Beobachters gehšrt dabei durchaus zu den ganz und
gar konkreten Gegebenheiten. Das
Paradox in der relativistischen Wirklichkeit ist ebenso wie die Null in der Arithmetik
als Summand bedeutungslos fŸr das Ergebnis. Doch die Wirkung als Faktor ist in den
beiden FŠllen gleicherma§en vernichtend. Unsere Vorstellung scheitert permanent
daran und erzwingt so augenblicklich eine Neuorientierung – ein formales
update.
Wie
die alltŠgliche Erfahrung zeigt, ist es nun allerdings nicht gleich die
komplette Vorstellung samt ihrem Inhalt, der Vielzahl der wahrgenommenen
Gegebenheiten, die hier von einem Augenblick zum andern erlischt. Sonst bliebe
nur reines Chaos und eine Orientierung wŠre gŠnzlich ausgeschlossen.
Offensichtlich erweisen sich aber Gegebenheiten als unterschiedlich stabil und als
mehr oder weniger dauerhaft. Offensichtlich gehšren Wechsel und BestŠndigkeit
zusammen und bedingen sich gegenseitig. Wie sollte es anders sein? Was eigentlich
immer wieder vollstŠndig und von Grund auf zu erneuern ist, ist eben lediglich
der besondere Zusammenhang in dem unsere Wahrnehmung die Dinge prŠsentiert. Was
jeden Moment kollabiert ist nicht der Wahrnehmungsinhalt als solcher, ebenso wenig
dessen (gleich noch vollstŠndig herzuleitende) allgemeine Šu§ere Form, Raum und
Zeit[7],
sondern es ist dessen bestimmte raumzeitliche Verteilung und Anordnung. Es ist
die Orientierung im Einzelnen die stets aufs Neue zu bewerkstelligen ist und
nicht ihre allgemeine Form der Perspektive.
ReprŠsentation
und Perspektive
Einer
beliebten Redensart zum Trotz: Das Einzige auf dieser Welt was nicht vergeht
ist die Zeit. Das ãHier und JetztÒ ist diejenige allerhartnŠckigste Position,
wo auf der Stelle die Vorstellung einer objektiv gegebenen Welt scheitert und einer
neuen solchen Vorstellung Platz macht und buchstŠblich Raum gibt. Es ist der dauerhafte Link zwischen
einer stets verlšschenden und einer stets aufs Neue zu errichtenden Ebene der
Orientierung. Es ist der Moment einer EbenenŸberschreitung und somit die
BerŸhrungsstelle zweier mehr oder weniger unterschiedlicher, und wie ich oben
ausgefŸhrt habe, flacher Umgebungen und der einzige wirklich stabile Topos der
Wahrnehmung. Da die Umgebung auf diese Position bezogen doppelt zweidimensional
ist, bildet sie den Ursprung einer vierdimensionalen Perspektive.
Nun
steht allerdings in keiner Weise eine Metaposition zur VerfŸgung wie ich sie
durch meine Behauptung anscheinend in Anspruch nehme. Es gibt nicht so etwas
wie den Schneidetisch im Off - etwa in einer fŸnften Dimension - von wo aus
solch ein vierdimensionaler Weltraum zu beobachten und darzustellen wŠre.
SŠmtliche wirklichen ZusammenhŠnge bestehen ausschlie§lich innerhalb der Welt, in
der das Subjekt selbst objektiv Teil ist. Diese Welt ist in ihrer allgemeinen
Form just wegen ihrer zirkulŠren Verfassung nirgendwo als ein Globalraum
objektiv gegeben, sondern allein als lokale Perspektive des Subjekts. Von Innen
ist sie als Ganzheit nicht zu erfassen. Die ReprŠsentation unserer wahrgenommenen
Umgebung geschieht nur scheinbar im Sinne der Modellierung einer ãAu§enwelt an
sichÒ. Denn eine solche gibt es nicht. Es handelt sich vielmehr um grundlegend introspektive
ReprŠsentation, um Selbstabbildung, um einen durchgehenden Endomorphismus der
Wahrnehmung: Die selbstbezŸgliche Sicht
des Subjekts in seine Welt ist internalistisch und externalistisch zugleich. Subjekt
und Objekt sind in diesem RŸckkopplungssystem letztlich nicht auseinander zu
halten, sie unterscheiden sich sozusagen nur auf kurze Sicht. Sie unterscheiden
sich auf die gleiche Weise wie die ãbeiden SeitenÒ des Mšbiusbandes, nŠmlich
global gar nicht, sondern ausschlie§lich lokal. GŠnzlich adŠquat, wenn auch
schwieriger vorstellbar, wŠre der Vergleich statt mit dem Mšbiusband mit einer
eng verwandten Figur, der Kleinschen Flasche[8],
einer sphŠrengleich in sich geschlossenen FlŠche, die jedoch kein Innen und
Au§en voneinander trennt und die kein Volumen einschlie§t. Ich mšchte
behaupten, dass die SchnittflŠche zwischen Subjekt und Objekt, unser eigentliches
Interface, im Prinzip einer Kleinschen Flasche gleicht, einem Ÿbrigens nur im
vierdimensionalen Raum Ÿberschneidungsfrei darstellbaren Gebilde.
Die
Mathematik liefert, anders als unser alltŠgliches Vorstellungsvermšgen, ohne weiteres
die Darstellung eines vierdimensionalen Raumes wie Ÿberhaupt jedes beliebigen
n-dimensionalen Raums. Sie kann idealer Weise einen Metastandpunkt in Anspruch
nehmen wie er faktisch unserer Wahrnehmung nicht zur VerfŸgung steht, da wir
die Welt von innen sehen. Die faktische Wahrnehmung jedoch einer Welt mit vier
Raumdimensionen ist ungeachtet ihrer mathematischen Darstellbarkeit
grundsŠtzlich ausgeschlossen. Nicht etwa nur wegen unzureichender FŠhigkeiten,
sondern ganz und gar prinzipiell. StŸnden uns durch irgend einen Zaubertrick
alle wie ich zeigte vier Dimensionen unserer wahrnehmbaren Welt in je gleicher
Weise zur VerfŸgung[9], so mŸssten
wir feststellen, dass das ãSeinÒ eins, vollkommen, unendlich, unteilbar und
unwandelbar ist und aller Wandel, alle Unterscheidung, kurz alle Dynamik die
unser Daseins ausmacht nichts als blo§e Meinung (Doxa)[10],
um nicht gleich zu sagen ãblanke IllusionÒ. Wir hŠtten eine metaphysische Sicht
auf die Welt, ãwie sie ist schlechthinÒ[11],
eine Erkenntnis von absoluter Wahrheit und ohne jedweden praktischen Wert.
Nun
verhŠlt es sich aber so, dass innerhalb der vier introspektiv gegebenen
Dimensionen die Position des ãHier und JetztÒ von Augenblick zu Augenblick
einer Trajektorie gleichkommt, einer Spur des Subjekts durch seine Umgebung,
einer linearen, eindimensionalen Folge von Positionen innerhalb der jeweils
Ÿbrigen drei Dimensionen seiner Umgebung. Das Subjekt ist absolut in seiner
Spur gebannt, es gibt keine metaphysische Grundlage von der aus es Ÿber seine
Historie verfŸgen kšnnte wie von besagtem Schneidetisch aus. Wohl aber kann es
auf die Spuren seiner unverrŸckbaren Geschichte zurŸckblicken und dieser
gegenŸber eine offene und noch unbestimmte Fortsetzung seiner Bahn als
Zukunft annehmen. Der damit ãzeitlichÒ zu nennende Aspekt seiner Position, das
ãJetztÒ steht so seinem restlichen dreidimensionalen ãHierÒ gewisserma§en als eine
Art introspektiver Metastandpunkt gegenŸber. Zeit und Raum der Wahrnehmung
bilden zusammen das asymmetrische physikalische Kontinuum seiner Perspektive. Oder
sollte ich besser sagen ãIntrospektiveÒ? Die Gegebenheiten darin erscheinen in
einem physikalischen Wirkungszusammenhang, welcher mathematisch eine doppelt zweidimensionale, also vierdimensionale
Mannigfaltigkeit darstellt, eine Matrix mit der Signatur (– + + +)[12].
In dieser Signatur drŸckt sich die entgegen gesetzte Orientierung (Kontravarianz)
von zeitlicher und rŠumlicher Dimension aus, wie sie durch die selbstbezŸglich
zirkulŠre Introspektion gegeben ist, anders ausgedrŸckt: durch den
Endomorphismus der Selbstabbildung.
Fazit
Der
wesentliche Gedanke meiner †berlegungen betrifft das Paradoxon der
Selbstinklusion unserer Wahrnehmung, von welchem ich glaube, dass die heutige Wissenschaft
es aus eben so gutem Grund wie aus alter Gewohnheit inzwischen zu eilfertig
ignoriert. Denn oberstes Anliegen besonders der Naturwissenschaft ist ganz zurecht
formalistische Konsistenz, also VollstŠndigkeit, Widerspruchsfreiheit und somit
uneingeschrŠnkte NachprŸfbarkeit ihrer Aussagen. Dies vertrŠgt sich aber laut
Roger Penrose sehr schlecht mit den Reflexionsprinzipien, die nichtsdestoweniger
in unserer Wirklichkeit eine alles andere als vernachlŠssigbare Rolle spielen, insbesondere
das Prinzip der Selbstreflexion. Allen voran stš§t immer wieder die Physik auf
das Problem, dass der Beobachter letztlich nicht von der Beobachtung zu trennen
ist und kommt so von verschiedenen Seiten zwar zu formal einwandfreien, richtigen
und hoch verifizierten sowie bestens bewŠhrten Aussagen und Theorien, die
jedoch zusammen genommen widersprŸchlich und všllig unvereinbar sind und dies sicherlich
fŸr immer bleiben werden, wie die Quanten- und die RelativitŠtstheorie. Beide
haben ein und denselben ãBlinden FleckÒ der ausgeblendeten SelbstbezŸglichkeit
und ZirkularitŠt, denn die Physik hat strikt objektiv zu sein. Das Paradoxon zeigt
sich hier unumgehbar von seiner praktischen Seite: Dem Widerspruch zwischen
mikroskopischem beziehungsweise makroskopischem Ansatz der Beobachtung. Dem
Blick nach innen gegenŸber dem Blick nach au§en. In eine Kluft die es eigentlich
gar nicht gibt. Leichter verdaulich erscheint es dagegen in der Abstraktion der
Mathematik, wie von Bertrand Russell mengentheoretisch oder von Kurt Gšdel in
seinem UnvollstŠndigkeitssatz formuliert.
Das
Paradoxon der Selbstinklusion ist meiner Ansicht nach das Fundierungsparadoxon
unserer Wahrnehmung. Seine Ausblendung dient unserer funktionierenden Orientierung.
Doch allein seine Anerkennung als dennoch reale, unausweichliche und zudem
omniprŠsente Gegebenheit liefert den Ansatz, die besondere Topologie der beobachteten
Welt zufriedenstellend herzuleiten. Deren asymmetrische vierdimensionale
Raum-Zeit-Struktur nŠmlich verdanken wir unserer introspektiven, also
selbstbezŸglich rekursiven Wahrnehmung.
Ich
sehe darin, dem zirkulŠren ãHenne-und-Ei-ProblemÒ gleichend, das Prinzip der Dynamik, welches uns
Ÿber das eine, vollkommene, ewige und unverŠnderliche Sein des Parmenides
hinwegtŠuscht.
Peter
Angermann
Lichtmess
2022-02-02
[1] Um die Wurzelziehung aus negativen Zahlen zu ermšglichen
[2] Gareth Evans ã
The Varieties of ReferenceÒ
[3] Douglas Hofstadter: Goedel, Escher, Bach
[4] wie Russells VorlŠufer Gottlob Frege verzweifelt erkennen musste...
[5] Niklas Luhmann ãDie Wissenschaft der GesellschaftÒ
[6] Roger Penrose ãComputerdenkenÒ
[7] Immanuel Kant ãDie Kritik der reinen VernunftÒ
[8] NŠhte man die Kanten zweier MšbiusbŠnder aneinander, so erhielte man eine Kleinsche Flasche. Schnitte man dagegen die kantenlose, also geschlossene FlŠche einer Kleinschen Flasche entzwei, enthielte man zwei ineinander hŠngende MšbiusbŠnder
[9] wie etwa im vierdimensionalen Quaternionenraum
[10] Hermann Diels: Parmenides. Lehrgedicht
[11] Hermann Weyl: ãRaum.Zeit.MaterieÒ
[12] Hermann Minkowski: ãRaum und ZeitÒ